Wer erinnert sich noch an Stayfriends oder ähnliche Angebote, die im Prinzip nichts anderes zum Ziel hatten wie das heutige Studiverzeichnis und kaum oder gar nicht mehr genutzt werden? StudiVZ als legitimer Nachfolger, den ein ähnliches Schicksal ereilen könnte, zunächst der Hype, dann die Ernüchterung und schließlich “vermodert” es in den Untiefen von Bookmarks, wie ein kleines buntes Spielzeug, dass seinen Reiz verloren hat?
Ich bin bedacht im Umgang mit meinen persönlichen Daten und gebe sie nicht gerne Preis – dachte ich. Dieser Artikel handelt vom Aufstieg und Fall des StudiVZ – zumindest in meinem persönlichen, sich über knapp 1 Jahr hinziehenden, Selbstversuch – und dem (fahr)lässigen Umgang mit persönlichen Daten.
August 2006
Für Stayfriends und ähnliche Angebote hatte ich mich nie begeistern können. Mit dem StudiVZ verhielt sich das nicht anders. Eine Bekannte hatte mich gefragt, ob ich auch schon im StudiVZ sei. Ahnungslos starrte ich sie an. Das war Anfang August. Das war vor der Zeit, in der ich mich intensiv mit den Themen Communities und Web 2.0 beschäftigt hatte.
Daraufhin fragte sie mich, ob sie mich einladen solle. Ich gab ihr meine SPAM-Emailadresse, nicht wegen ihr, sondern vielmehr wegen dem unbekannten Angebot. Und tatsächlich las ich mir die Einladung ins StudiVZ durch. Hörte sich bekannt an, nach Stayfriends, Facebook, OpenBC und ähnlichem social networking. An anderer Stelle wurde schon einmal darauf hingewiesen, dass sich StudiVZ und Facebook sehr ähneln. Seltsam, ich kannte tatsächlich Facebook vor StudiVZ.
12. September 2006
Bis ich das erste Mal in der realen Welt wieder mit diesem “Phänomen” konfrontiert wurde, verging knapp ein Monat. Ich hatte die Einladung vergessen, weil es mir bekannt und nicht interessant vorkam. Zu diesem Zeitpunkt saß ich mit einem Bekannten in der Cafeteria “Wienerwald” einer Universität in der Kurpfalz und schlürfte einen dieser beliebten Automatenkaffees für 90 Cent, als am Nebentisch das Gespräch auf das StudiVZ kam. Zwei Mädchen unterhielten sich voll Begeisterung darüber, “wie toll das doch sei und man könne so viele Freunde wieder treffen und”…
Ich sprach meinen Bekannten darauf an, ob er schon im StudiVZ sei – “Nein, nichts davon gehört. Was ist das?” kam es prompt zurück. Ich erzählte ihm kurz das Wenige was ich selbst darüber wusste und machte mich dann auf den Weg in die nächste Vorlesung. Abends würde ich die Einladung von Vanessa annehmen und zumindest schon einmal eine erste Freundin haben. Ich müsste also nicht bei Null anfangen. Mich packte der sinnlose Ehrgeiz – oder der dem Menschen ureigene Jäger- und Sammlertrieb – möglichst schnell viele Freunde jetzt auch ganz offiziell Freunde nennen zu dürfen.
Abends meldete mich über Vanessas Einladungslink an. Namen, Hochschule und noch ein paar andere Daten. Nun war ich also drin und hatte auch schon meine erste Freundin. Sofort machte ich mich auf die Suche nach anderen Menschen, die ich kannte. Einige fand ich und fügte sie sofort als Freund hinzu, anderen, die ich nicht hatte finden können, schickte ich eine Einladungsmail.
24. September 2006
Mittlerweile habe ich ein paar Freunde beisammen. Tolles Gefühl.
1. Oktober 2006 – 0:45
Ich sitze in meiner Studentenbude im Wohnheim und starre wartend auf den Bildschirm, dass ich eine neue Nachricht erhalte, dass irgendjemand etwas auf meine Pinwand auf meiner Seite oder in eine Vielzahl der Gruppen, denen ich beigetreten bin, geschrieben hat. Ständig bin ich wieder am Einloggen, da ich nach jedem dritten oder vierten Klick rausgeworfen werde. StudiVZ hat definitiv Probleme. Zeit für das PennerVZ.
Oktober/November 2006
Die Schlacht um StudiVZ hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Serverprobleme haben sich als ernsthafte Lücken im System herausgestellt. Blogger hatten das Thema aufgegriffen und die PR-Abteilung des Studentenportals hatte mit unklugen Äußerungen auf Vorwürfe und Hinweise reagiert, was extrem schlecht aufgenommen wurde. Die Gründer sorgen teils durch neue, teils durch alte kritikwürdige Aktionen zunehmend für Schlagzeilen. Auch in den etablierten Medien finden die Anschuldigungen mittlerweile Einzug. Die Konkurrenz dümpelt vor sich hin und findet keine Erwähnung mehr in Blogs oder Medien.
Dezember 2006
Ich besuche das Team von StudiVZ in Berlin in ihren Geschäftsräumen. Die Lage ist, anders als ich nach Monaten extremen Gegenwindes erwartet habe, relativ entspannt. Vereinzelt sehe ich das Blog von DA auf einigen Bildschirmen.
Anfang Januar 2007
Das Durchhalten hat sich gelohnt. Zumindest finanziell und für all diejenigen, die frühzeitig in StudiVZ investiert hatten. Das Studentenportal wird für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag an Holtzbrinck verkauft.
27. Januar 2007 – 4:04
Nach einer Begegnung der besonderen Art lösche entferne ich alle zu löschenden Daten im StudiVZ. Die Kämpfe, die zuvor der Blogbarde an der Blogbar und an anderen Stellen der Blogosspäre und in den Medien ausgefochten hat, haben gefruchtet. StudiVZ ist in aller Munde und ich habe mir oft überlegt, ob Don Alphonso und seine Mitstreiter sich bewußt oder unbewusst in eine gigantische PR-Schlacht haben verwickeln lassen, an deren Ende es nur Gewinner gab. Für die einen Millionen, für die anderen endlich wieder die ersehnten natürlich vollkommen uninteressanten Besucherzahlen.
Februar 2007
Vereinzelt kommen noch Freundesanfragen, die erst durch die Medienberichte von StudiVZ erfahren haben, die ich aber nur noch zufällig mitbekomme. Notifications sind abgestellt. Und der eigentliche Spaß an der Sache, das “sich-ständig-auf-dem-Laufenden-halten” und der tägliche Besuch bei Don Alphonso haben irgendwie auch ein Ende gefunden. Es scheint keine “Neuigkeiten” mehr zu geben. Wenn ich mich recht entsinne, war gerade dieses Geplänkel zwischen Blogbar und StudiVZ-Mitarbeitern, was mir die Sache solange schmackhaft gemacht hat. Mein StudiVZ-Account liegt brach, abgesehen von wenigen Besuchen.
8. August 2007
Ab sofort hat mein StudiVZ-Account nur noch eine Bestimmung: Schleichwerbung für PennerVZ. Und ich hoffe auf einen Skandal bei Facebook, oder einem anderen Web 2.0 Projekt, der die Grundfesten der Blogosspäre mal wieder richtig durchschüttelt und für Aufregung im Sommerloch sorgt.
EDIT: Der Großteil dieses Artikels entstand im Dezember 2006.